Strolche in Alaska
Der fliegende Strolch von Fairbanks
Alaska aus Liebe / Echte Elche, Bären, Wölfe / Die Wildnis vor der Haustür / Weiße Weihnachtsgrüße nach Lauterbach
Alaska/Lauterbach. Allein die Vorstellung verabreicht Gänsehaut. Sie stehen im Fluss und sind am Angeln. Am anderen Ufer steht ihre Frau mit der 44er Magnum im Anschlag, um sich und ihre Kinder vor zwei herannahenden Schwarzbären zu schützen. So geschehen mitten in der Wildnis von Alaska. Wie wird sie ausgehen, die Konfrontation Bär gegen Mensch?
Wer im kältesten Bundesstaat der USA Urlaub macht, der braucht sich nicht wundern, wenn auf einen Privatpiloten trifft, der aus einer „Cessna 170“ steigt und das Lauterbacher-Strolch-T-Shirt aus dem „designbüro“ trägt. Der fliegende Strolch oder besser gesagt, der Pilot, Gerhard Schäfer (52), geboren auf einem Bauernhof in Lauterbach, lebt und arbeitet heute in „Golden Heart City“, der zweitgrößte Stadt Alaskas - besser bekannt als Fairbanks. Dort verfielen die Menschen 1902 dem Goldrausch, der von dem Italiener Felix Pedro in Gang gesetzt wurde. Abenteurer, Glücksritter, Gauner und leichte Mädchen bevölkerten das Land. Wer kennt sie nicht, die Geschichten von Jack London. Gerhard Schäfer suchte 1990 weder Gold, noch ein schnelles Abenteuer, noch war er Fan des Schriftstellers. Alaska brachte er mit „Iditarod“ in Verbindung. Es handelt sich dabei um das alljährliche Schlittenhunderennen von Anchorage nach Nome (1850 Kilometer). Eisige Kälte und ein tief verschneites Land lassen Mensch und Tier an ihre Grenzen stoßen. Acht bis 15 Tagen kann ein Rennen dauern. Es gab Rennen, da betrug die Außentemperatur 70 Grad. Nie hätte das „Greenhorn“ sich träumen lassen, dass es 1992 dem Teilnehmer Emmit Peters beim Hundetraining und beim Start helfen würde.
Der gelernte Betriebsschlosser und Sohn eines Landwirts aus Lauterbach war schon immer sehr naturverbunden. Nach seinem Militärdienst stand ein Urlaub oben an. „Ich entschied mich für Alaska. Kanada war eine Option.“ Vielleicht weil es das Schicksal so vorgehsehen hatte. „Wie heißt es? Erstens kommt es anders zweitens als man denkt“, erinnert sich Gerhard Schäfer und seine Augen beginnen zu leuchten. In Anchorage, der Hauptstadt, war es nicht das Gold, was ihn blendete. Sondern die Schönheit eines Mädchens mit indianischen Wurzeln fiel ihm gleich auf, als sie die kleine Touristenbar (30 Meilen südlich von Anchorage) betrat. Das kuriose, das Gebäude war auf einer Seite ein Meter abgesackt, was das 64-er Erdbeben verursachte. „Man musste sein Bier am Tresen festhalten.“ LaVerne war da, um Freunden diese einzigartige Bar zu zeigen. „Und ich, ja, war halt Tourist.“ Zurück in Lauterbach schrieb er unzählige Briefe und führte lange Telefongespräche. „Ein halbes Jahr später, habe ich sie in Anchorage über Weihnachten besucht. LaVerne fand den jungen Deutschen sehr sympathisch, dennoch machte sie es ihm nicht so einfach und die Beziehung schritt langsam voran. Im März 1991 zog er mit Sack und Pack in die 291 826 Einwohnerstadt Anchorage. Der Anfang war schwer. „Betriebsschlosser werden in Alaska weniger gebraucht.“ Obwohl die zweitgrößte Stadt als wichtiges Industriezentrum (Erdöl, Gold, Kohle, Fischfang und Tourismus) gehandelt wird. Am 5. Juni 1993 heiratete er seine Traumfrau. Das Glück wurde durch die beiden Kinder, Christian (23) und Cheyenna (21), perfekt.
Fairbanks bot mehr an Berufschancen. Deswegen folgte der Umzug. „Habe mich mehr auf Baumaschinenführer und Mechaniker umgestellt.“ Heute arbeitet er als Mechaniker für „State of Alaska, Dot.“ (Department of Transportation ). In Alaska sieht die Arbeitswelt überhaupt ganz anders aus. „Statt acht Stunden Büro oder Produktion, heißt es für viele: sechs bis acht Wochen weit weg von zu Hause. Getrennt von der Familie lebt man in Arbeitercamps.“
Wie wurde aus der coolen Lauterbacher „Socke“ der „Lederstrumpf“ von Fairbanks? „Alaska ist ein großes Land mit wenigen Menschen, wo das Wort Freiheit noch an Bedeutung hinzugewinnt. Um die Entfernungen zu Überbrücken, um von A nach B zu kommen, benutzt man Flugzeug, Boot oder Schneemobil.“ Wie lebt es sich mit der Wildnis vor der Tür - dort wo die Wege von Grizzlybär, Wolf, Elch, Karibu und Mensch sich kreuzen. Viele Stadtmenschen besitzen eine Hütte fernab der Zivilisation. So auch Gerhard Schäfer. Das hölzerne Freizeitdomizil liegt am Fluss Melozitna. Bis zur nächsten Stadt sind es 400 Kilometer und den „Yukon“ erreicht man nach 10 Kilometern. Wer in diesem Stück Natur zurechtkommen möchte, der muss was vom Jagen und Fischen verstehen. Fleisch und Fisch bedeutet überleben. „Die Hauptjagdzeit ist im September.“ Größter Fleischlieferant für den Winter ist das Karibu. Beim Fisch steht der Arctic Grayling (Arktische Äsche) hoch im Kurs. Dabei kann es passieren, dass beim Angeln ungebetene Gäste vom Fang etwas abhaben wollen. Von so einem Besuch erzählt der Auswanderer über die schlimmsten Minuten seines Lebens. „Ich stand am anderen Ufer und sah, wie zwei dreijährige Schwarzbäre sich meiner Familie näherte.“ LaVerne stellte sich schützend, die 44-er im Anschlag, vor die Kinder. Nicht schießen! Rief ich.“ Ein verwundeter Bär kann zur mörderischen Bestie werden. „Mit lauten Schreien und Steinwürfen hielt meine Frau die Bären auf Distanz.“ Alle schafften es rechtzeitig unversehrt ins Boot zu steigen. „Auf meiner Seite des Flusses angekommen, fielen wir uns in die Arme. Noch mal gut gegangen!“
„Egal wo man lebt, daheim bleibt immer daheim.“ Deswegen trägt er gerne sein Strolch-Shirt, welches ihm eine Cousine vor drei Jahren geschickt hatte. Das Shirt fungiert als eine Art Glücksbringer beim Angeln. Auch streicht er sanft über den Strolch auf der Brust, wenn er den Gedanken an die Heimat nachhängt. „Ich vermisst oft Familie, Freunde, gutes Bier und deutsches Brot.“ Ferner vermisst er die heimatliche Adventszeit. „Weihnachtsmarkt? Fehlanzeige!“ Fairbanks ist keine weihnachtliche Hochburg. Einziger Vorteil, hier stellt sich die Frage nicht: weiße Weihnachten ja oder nein. Der Nachteil: Die Dauerkälte und lange Dunkelheit im Winter kann sich aufs Gemüt schlagen. „Hawaii ist nicht allzu weit weg.“ Kommt der Ratschlag. Verkündete nicht ein alte Schlager aus den 60-er Jahren: „Es gibt kein Bier auf Hawaii, es gibt kein Bier.“
Diesem Weihnachtsfest sehen die Schäfers mit gemischten Gefühlen entgegen. Turkey und Prime Rib Roast stehen auf dem Speiseplan. Die Verwandten von LaVerne werden sich am 25. Dezember, gegen 15 Uhr, zum Christmas Dinner versammeln. Das Traurige, ein Platz an der Tafel wird leer bleiben. LaVerne Schäfer verstarb am 26. März 2017 im Alter von 54 Jahren. Es fällt der kleinen Familie schwer, zum Alltag zurückzukehren. Das erste Weihnachtsfest ohne die geliebte Frau und Mutter. Warmherzig, hilfsbereit und mit dem Herz einer Löwin, wenn Gefahr drohte, ist nur ein Versuch sie zu beschreiben. LaVerne Schäfer ist noch allgegenwärtig und die Spuren des sympathische Wesens noch lange nicht verwischt. „Selbst wenn der eine Platz leer bleibt, LaVerne wird bei uns sein, und das nicht nur an Weihnachten.“
Gerhard, Christian und Cheyenna Schäfer möchten ihre in Lauterbach lebenden Eltern/Großeltern Karl-Georg und Waltraud Schaefer grüßen. Ebenso die Geschwister/Onkel und Tanten Sabine, Klaus, Rudi, und Susanne. „Liebend gern würde ich Lauterbach weiße Weihnachten bescheren. Leider ist die digitale Übertragung von Schnee noch nicht möglich.
2017-12-23_Lauterbacher_Anzeiger_Seite_2[...]
PDF-Dokument [287.7 KB]